Die Bundesrepublik Deutschland am Scheideweg – Ohne Gewaltenteilung kein Rechtsstaat – Teil 1

Portrait von John Locke, Gemälde
John Locke (1632-1704), englischer Philosoph und Staatstheoretiker

von K. Mader, März 2024

Einleitung

Die neuen Vorstellungen von John Locke und Baron Charles-Louis de Secondat, Baron de La Brède et de Montesquieu, bekannt kurz als Montesquieu, haben die politische und gesellschaftliche Entwicklung in Europa und später auch in anderen Teilen der Welt im Zusammenhang mit den Ideen und Theorien der Aufklärung maßgeblich beeinflusst.
Die modernen Grundsätze eines Verfassungsstaates mit einer gewissen Gewaltenteilung und Rechtsstaatlichkeit schlagen sich nieder nach der Unabhängigkeit der USA. Die 13 Gründerstaaten an der Ost-Küste der USA erarbeiteten eine Verfassung, welche die englischen „Bill of Rights“ aus dem 17. Jahrhundert zum Vorbild hatte wie auch die Verfassung der „Republik der Vereinigten Niederlande“. „Die Republik der sieben vereinigten Niederlande“, wie sie sich vollständig nannten, wurde schon 1581, während des achtzigjährigen Unabhängigkeitskrieges der Niederlande gegen die spanischen Habsburger, gegründet. Bei deren Verfassung handelte es sich jedoch nicht um einen zusammenhängenden Verfassungstext, der die staatliche Ordnung regelte. Durch ihre Struktur als föderaler Zusammenschluss zu einem Bundesstaat waren die frühen Niederlande ein geeignetes Vorbild für die USA in Gründung. Die Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika wurde im September 1787 verabschiedet und trat März 1789 für die 13 vereinigten Gründerstaaten in Kraft.

Allerdings ist die Gewaltenteilung in den USA auch nur bedingt verwirklicht. Stattessen kam das Prinzip von „Checks and Balances“ zur Anwendung, welches weniger eine Trennung der drei klassischen Staatsgewalten zum Grundsatz hat als vielmehr eine Verschränkung der Gewalten mit gegenseitiger Kontrolle, wie in annähernd allen heutigen westlichen Staaten. Eine konsequent verwirklichte Gewaltenteilung wird im Englischen als „Seperation of Powers“ oder „Division of Powers“ bezeichnet. Man muss festhalten, dass die Gewaltenteilung nach der theoretischen Vorgabe Montesquieus in fast allen Staaten nicht konsequent verwirklicht ist. Allerdings ist dies in manchen Ländern deutlicher umgesetzt als in einigen anderen, wo zumindest die Justiz unabhängig ist, was man aus Erfahrungen und der Theorie heraus als Kernanliegen ausmachen muss.

Uns wird mit Selbstverständlichkeit und ohne kritisches Hinterfragen erklärt oder gelehrt, die westlichen Staaten verfügten über eine zureichende Gewaltenteilung, die rechtsstaatlichen Grundsätzen voll und ganz genügt. Doch ist das tatsächlich so? Wie steht es diesbezüglich um die Bundesrepublik Deutschland? Dem soll im Folgenden in einem dreiteiligen Beitrag auf den Grund gegangen werden.

Bild der Statue von Montesquieu in Bordeaux
Bild: PIXABAY, Kolm-Jany – Statue von Charles-Louis de Secondat -Baron de La Brède et de Montesquieu, in Bordeaux

Teil 1: Zur Geschichte von Gewaltenteilung und modernem Rechtsstaat

Ein Blick in die Geschichte der modernen Staattheorie

Charles-Louis de Secondat, Baron de La Brède et de Montesquieu, geboren im Januar 1689 in einem Schloss bei Bordeaux, war Jurist, Schriftsteller, Philosoph und Staatstheoretiker und unternahm Reisen durch zahlreiche Länder Europas. In England hielt Charles-Louis de Secondat sich für mehrere Jahre auf.

Er war ein bekannter Denker der Epoche der Aufklärung und wurde geleitet durch die Ideale des noch jungen Humanismus. Er gilt als einer der maßgebliche Begründer der modernen Staatstheorie. Hierin wird die Trennung der drei wesentlichen Staatsgewalten zum Ausgleich von Herrschaft einerseits und den beherrschten Bürgern andererseits als grundlegenden Bestandteil eines Rechtsstaates beschrieben. Montesquieu, wie er kurz genannt wird, entwirft damit einen Gegenentwurf zum französischen Absolutismus seiner Zeit.

Ideengeber und Inspiration für den Franzosen Montesquieu war der Engländer John Locke (1632-1704), der sich Ende des 17. Jahrhunderts eingehend mit Staatslehren auseinandergesetzt hatte. Locke ging davon aus, Machtmissbrauch könne nur dadurch verhindert werden, dass die Regierungsmacht oder die Staatsgewalt aufgeteilt in verschiedenen Händen liegt.
Erst eine Verfassung und für alle gleichermaßen verbindliche Gesetze, auch für den Monarchen beziehungsweise die Regierung, sowie die Trennung der Staatsgewalten begrenzte die Machtfülle des Staatsoberhauptes und verhindern Willkürherrschaft.

In seinem Werk „Vom Geiste der Gesetze“ („De l’esprit des lois“) veröffentlichte Montesquieu im Jahre 1748 seine bis heute bekannte Staatstheorie, welche die voneinander unabhängigen Staatsgewalten, die sich gegenseitig kontrollieren und achten, als bedeutsam hervorhebt. Hierzu analysiert er zunächst drei Herrschaftsformen: Demokratie, Monarchie, Despotie.

Die drei Gewalten müssen nach der Lehre Montesquieus in der Ausübung ihrer Tätigkeiten unabhängig voneinander handeln können und dürfen dabei nicht Zwängen von außen unterliegen. Die drei Staatsgewalten und ihre Aufgaben kennen wahrscheinlich die meisten noch aus dem Schulunterricht. Es sind die gesetzgebende Gewalt (Legislative), die ausführende Gewalt beziehungsweise die Regierung und Verwaltung (Exekutive) und die rechtsprechende Gewalt, also Richter beziehungsweise Gerichte (Judikative). Die Aufgabe als gesetzgebende Gewalt fällt in der Regel in einem modernen Staate dem Parlament zu. Gesetzentwürfe werden sowohl aus dem Parlament selbst oder auch von der Regierung zur Beratung und Abstimmung eingebracht.

Was sind die Kennzeichen und Grundsätze eines Rechtsstaates

Es wird in der hier vorliegenden Abhandlung das Augenmerk auf die Gewaltenteilung als ein wesentliches Merkmal des Rechtsstaates gelegt. Um die Bedeutung der Gewaltenteilung für den Rechtsstaat als Vorausetzung der Stabilität eines solchen darstellen zu können, werden im Folgenden zusammengefasst auch weitere Grundlagen eines Rechtsstaates genannt und kurz erläutert.
Ein Rechtsstaat ist eine Staatsform, in welcher der Staatsaufbau darauf ausgerichtet ist, die Macht des Staates und der Staatsorgane durch rechtsstaatliche Prinzipien zu begrenzen und in der die Gesetze für alle Bürger und Institutionen, einschließlich der Regierung, gleichermaßen bindend sind. Durch verschiedene Merkmale und kohärente organisatorische Struktur wird gewährleistet, dass ein Abgleiten in eine Willkürherrschaft, die Despotie, verhindert wird.

Es muss gewährleistet sein, dass keine Personengruppe sich Vorteile gegenüber anderen verschaffen kann oder systematisch zugestanden bekommt oder aber bestimmte Staatsbürger benachteiligt werden. Nur durch die konsequente Einhaltung der Grundsätze von Rechtsstaatlichkeit kann die Entstehung von Totalitarismus und Diktatur verhindert werden.
Es gibt bestimmte unabdingbare Merkmale, die einen Rechtsstaat kennzeichnen.
Die Vorherrschaft des Rechts: Im Rechtsstaat steht das Gesetz über allem. Jeder, einschließlich sämtlicher Institutionen und der Regierung, ist an das Gesetz gebunden und muss sich daran halten.

Eine Verfassung: Sie regelt die innere Ordnung eines Staates und setzt den Rahmen für die Gesetzgebung sowie das Verhältnis zwischen Staatsorganen und Bürgern.
Der Schutz der Grundrechte: Die Grundrechte werden in der Staatsverfassung niedergeschrieben und bilden die Verfassungsgrundlage. Ein Rechtsstaat garantiert die Achtung und den Schutz der Grundrechte aller Staatsbürger gleichermaßen. Dies muss sowohl für die Gesetzgebung wie auch für die Rechtsprechung gelten.

Die Gewaltenteilung: Ein Rechtsstaat verfügt über eine Gewaltenteilung. Die Exekutive, die Legislative und die Judikative haben eindeutige, unterschiedliche Funktionen und sind institutionell und personell voneinander getrennt, um gegenseitige Kontrolle und eine Balance der Macht sicherzustellen.

Öffentlichkeit und Transparenz: Eine transparente Regierungsführung und ein offener Zugang zu Informationen fördern die Rechenschaftspflicht und die demokratische Kontrolle der Regierung.

Keine willkürliche Machtausübung: Die Regierung, ihre Beamten und sämtliche staatliche Institutionen dürfen ihre Macht nicht willkürlich ausüben. Stattdessen müssen sie sich an das Gesetz halten und im Einklang mit der Verfassung handeln.

Unabhängige Gerichte: Als unabdingbares Merkmal des Gewaltenteilungsprinzips und gleichermaßen als Bedingung für den Rechtsstaat gilt die Unabhängigkeit der Rechtsprechung. Die Gerichte sind sowohl bezüglich personeller Besetzung wie auch in ihrer Arbeitsweise unabhängig, wobei sie dabei der Verfassung sowie dem Gesetz unterliegen. Eine Willkürjustiz muss ausgeschlossen sein.

Die Rechtssicherheit: Die Gesetze sind vorhersehbar, stehen im Einklang mit den staatlichen Grundrechten und dem unter den Staatsbürgern vorherrschenden Sittenverständnis. Die Gesetzgebung darf der Handlungs- und Planungssicherheit der Bürger nicht in unzumutbarer Weise zuwiderlaufen. Rechtsnormen sollen nicht häufig und unvorhersehbar geändert werden, um Vertrauen und Planbarkeit in allen Lebensbereichen zu gewährleisten. Gesetze sind eindeutig und verständlich formuliert ohne Raum für Mehrdeutigkeit oder Interpretationsspielräume zu bieten, und Gesetze werden bei der Rechtsprechung für alle Bürger gleichermaßen angewandt. Änderungen sollten nur in Ausnahmefällen und unter Wahrung angemessener Übergangsfristen erfolgen.

Es gilt das Rückwirkungsverbot, was heißt, Gesetze dürfen nicht rückwirkend angewendet werden, um sicherzustellen, dass Bürger nur für Handlungen zur Rechenschaft gezogen werden, die zum Zeitpunkt der Handlung bereits gesetzlich verboten beziehungsweise geregelt waren.

Das Römische Recht hatte einen bedeutenden Einfluss auf die Entwicklung von Rechtssystemen in vielen Ländern, insbesondere zunächst in Kontinentaleuropa. Unser heutiges Verständnis von Rechtssicherheit ist dadurch geprägt. Weiter Merkmale für die Rechtssicherheit sind

  • Recht auf ein ordentliches Verfahren – Jeder Bürger hat das Recht auf ein ausgewogenes, ordnungsgemäßes und unparteiisches Verfahren vor Gericht, wenn er mit strafrechtlichen Vorwürfen oder anderen Rechtsstreitigkeiten konfrontiert ist. „Dazu gehört auch das Recht auf rechtliches Gehör. Das bedeutet, dass jeder Mensch in einem Gerichtsverfahren das Recht hat, sich zu den Vorwürfen zu äußern, Beweise vorzulegen und Zeugen zu benennen und einen Rechtsbeistand hinzuzuziehen. Der Anspruch auf rechtliches Gehör findet auch im Strafverfahren Anwendung. So muss dem Angeklagten vor der Verurteilung das letzte Wort erteilt werden, damit er sich zu den erhobenen Vorwürfen äußern kann.“ (https://www.juraforum.de/lexikon/rechtsstaat)
  • Rechtsschutz und Rechtsmittel – Ein Rechtsstaat gewährleistet, dass Bürger, deren Rechte verletzt wurden, Zugang zu wirksamen Rechtsmitteln haben, um diese Verletzungen zu beheben und Gerechtigkeit zu erlangen.
  • Verhältnismäßigkeit – Das Prinzip der Verhältnismäßigkeit besagt, dass die Mittel, die die staatliche Gewalt einsetzt, in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Zweck stehen müssen. Es geht also darum, dass der Staat bei der Erfüllung seiner Aufgaben und der Verfolgung seiner Ziele keine unverhältnismäßigen Mittel einsetzt, die das Ziel nicht rechtfertigen oder unverhältnismäßige Nebenwirkungen haben. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gilt auch für polizeiliches Handeln. Zwangsmaßnahmen durch die Polizei dürfen nur in Ausnahmefällen oder durch richterliche Anordnung erfolgen (ebd.). Das Handeln der Polizei oder anderen Ordnungsbehörden unterliegt dem Gesetz; Willkürhandlungen sind so ausgeschlossen.

Informations- und Meinungsfreiheit, Presse- beziehungsweise Medienfreiheit sind ebenfalls wichtige Bestandteile des Rechtsstaats. Diese ermöglichen es den Bürgern, sich aus frei zugänglichen Quellen ungehindert zu informieren, ihre Meinung und Anschauung ohne Sorge vor Verfolgung zu äußern und sich kritisch mit politischen Entscheidungen im Allgemeinen, der Regierung oder der Lage im Land oder weltweit auseinanderzusetzen. Ebenso gilt im Rechtsstaat, dass Bürger diesbezügliche Informationen und Ansichten verbreiten dürfen. Eine Zensur findet nicht statt, und negative Konsequenzen für die Verbreitung von Nachrichten, Wissen, Kenntnissen und Meinungen sind ausgeschlossen, selbst dann, wenn sie weniger auf nachweisbaren Fakten beruhen als auf Annahmen oder subjektiver Wahrnehmung. Grenzen hierfür werden durch Gesetze gesteckt; diese Grenzen müssen allerdings weit genug gefasst sein, um das Grundrecht der Meinungs- und Redefreiheit nicht zu untergraben. Eine Zensur „durch die Hintertür“ mittels unverhältnismäßig einengender Gesetzgebung darf es nicht geben. Diese Grenzen können beispielsweise gesetzt werden durch verleumderische Behauptungen gegenüber bestimmten Personen und eindeutig nachweisbare Gewaltaufrufe.

Medien sind der journalistischen Sorgfalt verpflichtet, nicht aber einer bestimmten Haltung gegenüber der Regierung oder politischen oder gesellschaftlichen Gruppen und dürfen nicht dem Zwang unterliegen, an Anschauungen gebunden zu sein. Dies gilt heute unabhängig davon, ob diese den klassischen Print- oder Funkmedien angehören, großen Verlagen, dem öffentlich-rechtlichen, staatsnahen Sektor, kleinere Medienunternehmen oder freiberufliche Journalisten, die heute auch im Internet zu finden sind und oft die neuen oder alternativen Medien gestalten. Kleine und unabhängige Medienunternehmen dürfen nicht zugunsten von großen oder gar staatlichen Medienbetrieben (in Deutschland Anstalten des Öffentlichen Rechts) benachteiligt werden.

Diese Merkmale sind grundlegend für die Funktionsweise eines Rechtsstaates und gewährleisten, dass die Regierung wie auch Verwaltungen im Rahmen des Gesetzes handeln und Würde, Rechte und Freiheiten der Bürger respektieren und schützen.

Die Zeit vor dem Rechtsstaat, Montesquieus Ansinnen

Die herausragenden Ziele, welche Montesquieu beschreibt, sind zum einen die größtmögliche politische Freiheit der Bürger und darüber hinaus die Verhinderung von Despotie, also einer Willkürherrschaft, wie sie zu seinen Lebzeiten im Absolutismus Frankreichs manifestiert war aber nicht nur dort. Die Zeit des Feudalismus in Europa, vom frühen Mittelalter bis weit in die Neuzeit hinein, war geprägt durch eine Standesgesellschaft, in welcher von einzelnen Personen, deren Vertrauten oder Befugten (beispielsweise Lehnsherren) Willkür oder Despotie ausgehen konnte.

Eine Begrenzung oder Regelung von Machtausübung war zumeist nicht oder geringfügig vorgesehen. Abhängige Stände, wie Bauern, lebten so als Unfreie. Die Ausübung von Regierungsgewalt, von Gesetzgebung, Anweisung für Inhaftierung und Verhör (auch durch Folter) bis hin zu Rechtsprechung beziehungsweise Verurteilung und Anweisung zur Vollstreckung konnte von einer Person oder einer Gruppe, einem Gremium, ausgehen. Gleiches galt für die Staatsfinanzen, die in der Regel untrennbar verbunden waren mit dem Privatvermögen eines Regenten, der Steuererhebung und -eintreibung oder der Kriegsführung. Ergänzt wurde dies durch ein weiteres Herrschafts- und Unterdrückungssystem: das der Kirche.

Diese religiöse Herrschaft und Machtausübung waren eng verwoben mit der staatlichen Herrschaft durch Regenten oder Lehnsherren. Es soll nach Montesquieus Ideal Machtmissbrauch unterbunden und Willkür bis hin zum Staatsterror verhindert werden. Diese Zielsetzung muss auch heute noch Gültigkeit haben, um ein „Kippen“ eines Staates in Richtung Despotie beziehungsweise Totalitarismus zu verhindern. Kaum ein Staatsaufbau ist auf alle Zeiten mit Selbstverständlichkeit in sich fest gefügt und gefeit dagegen, sich weg von einem die Freiheit garantierenden Rechtsstaat hin zu einer Despotie zu entwickeln.

Revolutionen führten in die neue Despotie und zu Terrorherrschaft

Wenngleich es hier etwas weit führt, soll eines nicht unerwähnt bleiben. Die hier gemachten Ausführung in die Geschichte und die Zeiten des Absolutismus soll über eines nicht hinwegtäuschen: Das Ende des Absolutismus und von Feudalherrschaft durch Revolutionen brachte keineswegs eine Erlösung oder Befreiung und einen Rechtsstaat hervor. Die Franzäsische Revolution, 1789, ebnete nach einem ersten großen Blutbad, dem auch schon viele Unschuldige zum Opfer vielen, den Weg für den großen Terror der Jakobinischen Revolutionäre. Ein Name ist im Zusammenhang der Tyrannei womöglich jedem Bekannt: Maximilien de Robespierre, der von 1790 bis zu seinem gewaltsamen Tode, 1794, der Kopf der Schreckensherrschaft war.

Über einen großen Teil der Franzosen brach die Hölle der Willkürherrschaft offenkundig in Folge der Revolution herrein; ohne ordentliche Verhöre oder Verfahren wurde auf bloßen Verdacht oder wegen Standeszugehörigkeit inhaftiert, massenhaft hingerichtet, extrem grausem Krieg gegen französische Landesteile geführt. Es wurde zu Tode gefoltert; Fanatismus und Barbarei waren unbeschreiblich. Aus der Revolution gingen der chauvinistische Nationalismus und Krieg über ganz Europa hervor. Und als Paradoxie der Geschichte krönte sich später Napoleon Bonaparte im Jahre 1804 zum Kaiser. So hatte nun Frankreich in der Folge der Revolution, die gegen die Monarchie gerichtet war, statt eines Königs einen Kaiser.

Die Russische Revolution war in ihrer Folge nicht weniger absurd; es folgte auf den russischen Zaren das Blutvergießen und die Willkür der Bolschewiken und die Errichtung der Sowjetunion. Dies war über Jahrzehnte anders als die Zeit im zaristischen Russland, aber im Gedenken der Millionen von Opfern dieser kommunistischen Gewaltherrschaft kann man keinesfalls von einem besseren Zustand oder Fortschritt reden.

Gewaltsame Revolutionen führen vom Elend ins Verderben – so sehr manche sie auch verherrlichen mögen: einen Rechtsstaat bringen sie nicht herbei.

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Freiheit gibt es auch nicht, wenn die richterliche Befugnis nicht von der legislativen und von der exekutiven Befugnis geschieden wird. … Alles wäre verloren, wenn ein und derselbe Mann bzw. die gleiche Körperschaft entweder der Mächtigsten oder der Adligen oder des Volkes folgende drei Machtvollkommenheiten ausübte: Gesetze erlassen, öffentliche Beschlüsse in die Tat umsetzen, Verbrechen und private Streitfälle aburteilen.

  • Charles-Louis de Montesquieu, „De l’Esprit des Lois“ (Vom Geiste der Gesetze“)

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Das Erscheinen seines Werkes „Vom Geiste der Gesetze“ löste damals heftige, kontroverse Debatten aus. Der Vatikan setzte das Buch auf einen Verbotsindex. Montesquieu verfasste eine Verteidigungsschrift. Der preußische König Friederich der Große war Montesquieu und seinem Werk zugetan. Der Geist der Aufklärung war im Königshaus Preußens angesehen. Dies hatte eine persönliche Vorgeschichte:
Der König Friedrich II., der Große, pflegte mit dem französischen Philosophen Francois Marie Arouet Voltaire von 1736 bis zu dessen Tode, 1778, einen wechselvollen Austausch, geprägt von zeitweiliger gegenseitiger Verehrung, Inspiration aber auch zwischenzeitlicher Enttäuschung und Abneigung. Voltaire weilte zu längeren Aufenthalten am Hofe des preußischen Königs. So fanden aufklärerische Gedanken und die Ideale des Humanismus Einzug in deutsches Gebiet, lange vor der Französischen Revolution und Napoleon Bonaparte mit dessen, der Revolution folgenden zerstörerischen französischen Kriegszügen durch Europa, in deren Folge paradoxerweise diese Ideale mit Waffen, Barbarei und Zerstörung gewaltsam Verbreitung fanden.

Die Theorie von damals und die Wirklichkeit von heute

In der Schule, in Hochschulen oder auch zu anderen Gelegenheiten erklärt man uns Bürgern in der Regel, die Gewaltenteilung sei in den heutigen modernen westlichen Staaten umgesetzt, bestimme die politische Wirklichkeit in unseren Ländern und manifestiere so den Rechtsstaat. Doch wenn man die Wirklichkeit genauer betrachtet und Fachliteratur dazu anschaut, offenbart sich ein anderes Bild: Gewalten sind nicht getrennt, sondern wirken in Verschränkung oder Verknüpfung zusammen, zahlreiche Funktionsträger einer Gewalt gehören gleichzeitig auch in Personalunion einer weiteren Gewalt an oder üben auf eine andere Staatsgewalt maßgeblich Einfluss aus.

Es muss einem bei näherer Beschäftigung hiermit bewusst werden, dass aus dem bloßen Vorhandensein der von Montesquieu definierten Staatsgewalten und der Bezugnahme auf seine Theorie nicht selbstverständlich auch auf die Verwirklichung der Trennung dieser Staatsgewalten geschlossen werden darf. Im Gegenteil, schaut man genauer hin und betrachtet die politische Wirklichkeit einiger moderner Staaten, kann Ernüchterung einkehren. Ob diese Verknüpfung und das Zusammenwirken verschiedener Gewalten dem Anspruch der Gewaltenteilung überhaupt genügt und inwieweit die Wirklichkeit der Verknüpfung und Verschränkung in den komplexen Abläufen moderner demokratischer Staaten sogar für ein Funktionieren erforderlich ist, darüber werden hin und wieder theoretisch-akademische Auseinandersetzungen geführt, von Medien, Bürgern wie auch Bildungseinrichtungen zumeist unbeachtet.

Selbstverständlich darf in einer Erörterung hierüber auch nicht der Blick auf Faktoren zu kurz kommen, die heute in Staat und Gesellschaft von erheblicher Bedeutung sind, allerdings zu Zeiten von John Locke und Montesquieu nicht existierten. Zu nennen sind hierzu hauptsächlich

  • politische Parteien,
  • Medien,
  • supranationale Organisationen (beispielsweise EU, UNO, NATO),
  • Nicht-Regierungsorganisationen (NGO)

und vielfältige internationale Verflechtungen und Abhängigkeiten.

All diese üben Einfluss auf die Meinungsbildung aus und darüber hinaus auf das Handeln staatlicher Institutionen. Genau betrachtet, wirken diese Faktoren sich auf den Zustand des Rechtsstaates aus. Ihr Einfluss auf den Grundgedanken der Gewaltenteilung und die Stabilität des Rechtsstaates ist nicht ohne Weiteres als förderlich anzusehen.

Dazu kommt, dass wir es in fast allen europäischen Staaten mit weiteren, oft landesspezifischen Besonderheiten zu tun haben und mit Staatsorganen oder Institutionen, die durch Locke und Montesquieu nicht einbezogen wurden. Was heute von Bedeutung ist und in den modernen Verfassungen von demokratisch aufgebauten Staaten zusätzlich zu den drei Staatsgewalten betrachtet werden muss, sind:

das Wahlvolk beziehungsweise die Bürger als Souverän, Geheimdienste, Staatsanwaltschaften.

Hinzu kommt die seit mehr als 200 Jahren wachsende Bedeutung von Medien, zunächst Druckwerk, also Flugschriften oder regelmäßig erscheinende Zeitungen, heute großenteils Telemedien (Rundfunk) und das Internet mit wachsender Bedeutung.

Das allgemeine und gleiche Wahlrecht ist gegenüber dem 18. oder frühen 19. Jahrhundert ein Merkmal moderner westlicher Staatssysteme. Heute werden keine Standes- oder Besitzmaßstäbe an das Recht der Wahl oder die Gewichtung der einzelnen Stimmen angelegt. Das Wahlvolk ist zwar im engeren Sinne kein Staatsorgan, aber als verfassungsmäßiger Souverän kommt den wahlberechtigten Bürgern als Wähler in der Theorie eine tragende Rolle im modernen Staate zu.

Man kann also feststellen: Der moderne Staatsaufbau mit seinen vielschichtigen Staatsorganen und Institutionen wie auch die Entwicklung von Medien haben gegenüber der Zeit des 18. Jahrhunderts eine wachsende Komplexität hervorgerufen. Allerdings treffen die von Montesquieu herausgearbeiteten Grundsätze für die Exekutive, die Legislative und die Judikative noch immer zu und dürfen keinesfalls bis zur Unkenntlichkeit aufgeweicht werden. Die Begründung, heute sei die Lage mit früher nicht vergleichbar und daher sei eine Gewaltenteilung nicht mehr durchführbar, nicht zeitgemäß oder gar entbehrlich, führen zu gefährlichen Darstellungen.

Gefahren für den Rechtsstaat heute

Es ist eine trügerische Illusion, anzunehmen, dass in den modernen Staaten festgefügte und beständige rechtsstaatliche Strukturen auf alle Zeit fixiert sind. Ständige Wachsamkeit der Bürger und Mahnung sind vonnöten, damit der schmale Grat, weg vom akzeptablen Zustand in Richtung Despotie, nicht überschritten wird und ein Absturz droht.

Großen Gefahren gehen von Manipulation und „Meinungskontrolle“ der meist wenig informierten und leichtgläubigen Mehrheit aus. Naivität der Masse und geschickt erzeugte und genutzte Irrationalität können dazu führen, dass eine Gesellschaft die falsche Richtung einschlägt.

Fehlt den Bürgern und vor allem den Mitgliedern staatlicher Institutionen selbst das Wissen über Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung und das Verlangen, sich diesen gegenüber verpflichtet zu sehen, so besteht für ein Staatswesen besondere Gefahr. Gegen eine solche Entwicklung benötigt ein moderner Staat Barrieren. Die wesentliche Barriere gegen unheilvolle Entwicklungen sollten zuvörderst durch eine ausgeprägte Teilung der Staatsgewalten gesetzt werden.

In folgenden Beiträgen wird auf Mängel bezüglich Gewaltenteilung und Rechtsstaatlichkeit ausführlich eingegangen. Hier geht es zum Teil 2 und zu Teil 3.

1 Kommentar

  1. Etwas zum Thema Medien und deren Unabhängigkeit. Hierzu hat sich der früh verstorbene Journalist Hanns-Joachim Friedrichs, der zumeist für das ZDF tätig war, gegenüber Journalistenschülern in einem Seminar folgendermaßen geäußert: „Mach dich nie mit einer Sache gemein, auch nicht mit einer guten!“
    Welcher heutige Journalist wird diesem Anspruch gerecht?
    J. M.

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